Hier und Jetzt - Eine Fotoausstellung über das Ankommen & Verwurzeln der Jesiden und Jesidinnen in Deutschland

Menschen mit Fluchterfahrungen gehören mittlerweile zu unserem Alltag. Auch am Johannes-Kepler-Gymnasium ist z.B. mit den beiden ukrainischen Klassen und der Teilnahme ukrainischer Jugendlicher am Regelunterricht täglich präsent, welche unterschiedlichen Erfahrungen und Lebensgeschichten hinter einzelnen Menschen stecken und wie schwierig es manchmal sein kann, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Schulgemeinschaft bemüht sich auf vielfältige Weise, die Jugendlichen aus der Ukraine zu integrieren und gegenseitig voneinander zu lernen – so z.B. durch das gegenseitige Vorstellen von Osterbräuchen und einem gemeinsamen Osterfest.

Ein Blick in unsere Nachbarstadt Tübingen zeigt, dass auch dort das Thema „Flucht und Ankommen“ eine große Rolle spielt.  Im Areal "Hechinger Eck Nord" lebt seit 2019 ein Großteil der Tübinger jesidischen Community. Das Projekt Passerelle ist ebenfalls hier angesiedelt und - gemeinsam mit dem Integrationsmanagement der Stadt Tübingen - verantwortlich für das Ankommen und Verwurzeln der geflüchteten Menschen, für das Sozialmanagement und die Kinder- und Jugendarbeit. Seit fast vier Jahren begleitet das Projekt die Menschen auf ihrem Weg, sich an ihrem hier zu verorten und ihre Plätze zu finden.

Nachdem ihre Heimat im Nordirak 2014 vom sogenannten "Islamischen Staat" zerstört wurde, haben die Jesidinnen und Jesiden in Tübingen ein neues Zuhause gefunden, sich hier niedergelassen und befinden sich jetzt mittendrin im "Ankommen". Es ist bemerkenswert wie die Menschen sich entwickeln und welche Ziele sie verfolgen, auch angesichts kultureller Diskrepanzen und behördlicher Hürden. Dabei bringen die Neubürgerinnen und -bürger mit jesidischen Wurzeln auch etwas Eigenes, Wertvolles in die Aufnahmekultur mit.
In den letzten Monaten hat das Passerelle mit jesidischen Geflüchteten ein Projekt über ihr Ankommen und Verwurzeln verwirklicht: Sie haben sich erinnert, davon erzählt und sich von dem Fotografen Enzo Deza fotografieren lassen. Daraus haben sie gemeinsam die Ausstellung „Hier & Jetzt – Eine Fotoausstellung über Ankommen und Verwurzeln“ gestaltet.
In der Ausstellung lassen uns die Tübinger Neubürgerinnen und -bürger teilhaben an ihrem Hier & Jetzt: Sie zeigen, was sie geschafft haben und worauf sie stolz sind. 

Jetzt ist die Ausstellung zu Gast am Johannes-Kepler-Gymnasium in Reutlingen. Den Schülerinnen und Schülern der SMV (Schülermitverantwortung) ist es wichtig, dass das Thema „Flucht und Ankommen“ an der Schule präsent ist. In der Bibliothek unter dem Dach haben die Schülerinnen und Schüler unter Leitung von André Schwiedel die Ausstellung arrangiert. Die Bilder und Texte haben das Thema Ankommen nach traumatischen Kriegs- und Fluchterfahrungen kulturell erfasst und gemeinsam mit Geflüchteten visuell materialisiert. Die Geflüchteten werden dabei nicht "von außen" fotografiert, sondern an der Bildgestaltung aktiv und selbstbestimmt beteiligt. Einzelschicksale stehen anstatt zusammenfassender Zahlen im Fokus.
Damit reiht sich die Ausstellung gut in die Auseinandersetzung des Johannes-Kepler-Gymnasiums mit dem Thema Flucht, Kriegserfahrungen, Ankommen und der Frage nach dem guten Leben ein. Anlässlich des 12. Jahrestags des Syrienkriegs berichtete die Elftklässlerin Hibah Dawood vom Weg ihrer Familie von Aleppo über die Türkei nach Reutlingen vor neun Jahren und die Herausforderungen, sich in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden zu müssen. Der Bericht dieser Mitschülerin, die vom Balkon ihrer Wohnung in Aleppo aus als Achtjährige Bomben einschlagen sah und hörte, war ebenso wie die Ausstellung ein Zeugnis traumatischer Erfahrungen, das durch die Nähe und den persönlichen Bericht von Hibah Dawood den Schülerinnen und Schülern des Johannes-Kepler-Gymnasiums einen direkten Eindruck in Erfahrungen und Empfindungen von Geflüchteten gab und dazu beiträgt, dass die Schulgemeinschaft sensibler und verständnisvoller mit Einzelschicksalen umgeht.

Einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft warf der Ethikkurs von Cathy Hammer, bei welchem die Elfklässlerinnen und Elfklässler sich mit der Frage nach dem guten Leben auseinandersetzten und an der Aktion „Briefe der Hoffnung“ im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus teilnahmen. Eine Zusammenstellung der Briefe, die Elemente der stoischen Philosophie für unser heutiges Zusammenleben aus Einheimischen, Geflüchteten und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen wurde im Rahmen einer Lesung in der Stadtbibliothek ausgestellt und zeigt, dass ein friedliches Miteinander das ist, was die Schülerinnen und Schüler sich am meisten wünschen.

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